Darüber ließe sich ein langer Text verfassen, wir erörtern hier nur kurz einige Aspekte. Aus Sicht der Pflanze wäre die Antwort eindeutig: eine Frucht ist dann reif, wenn die enthaltenen Samen optimal fortpflanzungs-, also keimfähig sind. Aber das ist nicht unser Kriterium, für uns sind die Früchte Rohstoffe für Produkte zum Genießen.
Es kommt zunächst auf die Art an. Quitten entwickeln ihr typisches, feines und intensives Aroma erst bei Vollreife, kurz bevor sie fallen und verderben. Kornelkirschen müssen fallen, Stachelbeeren müssen geerntet werden, bevor sie weich werden und dann fade schmecken.
Es kommt auch auf die Verwendung an. Zwetschgen für Kuchen oder Kompott müssen noch fest sein, für Mus braucht man weiche Früchte, und für feinen Zwetschgenbrand muss man sie schrumpelig-überreif werden lassen. Ähnlich bei Birnen: Entsaften ist nur möglich, solange sie hart sind, sonst gibt es Brei. Für die Brennmaische sind sie erst dann richtig, wenn sie "schmelzen", kurz bevor sie verderben. Einzulagernde Tafeläpfel und -birnen müssen vorsichtig vom Baum gepflückt werden. Wirtschaftskernobst, das umgehend zerkleinert und eingemaischt oder gepresst wird, lässt man besser fallen oder schüttelt es erst dann vom Baum, wenn es sowieso bald fallen würde.
Es kommt zudem auf die Sorte an. Zuchtsorten der Mispel werden geerntet, sobald die ersten Früchte fallen. Die Wildform braucht Frost, vorher sind die Früchte steinhart und schwer zu verarbeiten. Am meisten ausgeprägt sind die Unterschiede jedoch beim Kulturapfel. Der optimale Erntezeitraum erstreckt sich über fast ein halbes Jahr: Frühsorten reifen im Juli, sehr späte Sorten werden erst Mitte Dezember pflückreif. Überhaupt: Pflückreife und Genussreife sind bei Äpfeln und Birnen zwei Paar Stiefel. Vom Biss in einen Apfel, den Sie im Spätherbst soeben leicht vom Baum pflücken konnten, werden Sie sehr wahrscheinlich enttäuscht sein. Es gilt die Faustregel: je später die Reife, desto länger muss die Frucht auf Lager liegen. Im Extremfall werden Anfang Dezember geerntete Äpfel erst im März genussreif. Nur sehr frühe Sorten (die sogenannten Kornäpfel) sind sogleich genießbar. Da kehrt sich die Problematik eher um: für den Klarapfel ist der optimale Erntezeitpunkt, solange er gerade noch grasgrün und fest ist. Wenige Tage später ist er gelb, mehlig und schmeckt fade.
Noch ein paar Worte zum Fallobst, das allgemein einen schlechten Ruf hat. Es ist ungenießbar und verursacht Entsorgungsaufwand. Stimmt, aber nur teilweise.
Den ersten Fruchtfall gibt es bei Äpfeln und Birnen, etwas weniger auffällig auch bei Steinobst, schon früh im Jahr. Beim Kernobst ist das Phänomen so ausgeprägt, dass es einen eigenen Namen bekommen hat: Junifall. Ein Baum, der im Frühjahr reich geblüht hat und auch entsprechend von Insekten befruchtet wurde, kann den entstehenden Fruchtansatz nur teilweise zur Reife bringen. Er stößt ab, was er ohnehin nicht ernähren kann, vorwiegend die schwächeren, kleineren, zurückgebliebenen Früchtchen. Dies sei aber hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Wichtiger ist der folgende, sich unregelmäßig bis zur Vollreife hinziehende Prozess. Der Baum stößt auch Früchte ab, die durch Fäulnis, Schimmelpilze oder schmarotzende Tierchen geschädigt sind. Soweit möglich, bringt er sie vorher zu einer Art Notreife, immer zum Zweck maximaler Fortpflanzung. Dieser "Abfall" ist sowohl für industrielle Verwertung als auch zur Einlagerung völlig ungeeignet. Schneidet man die befallenen Partien weg, ist der verbleibende Rest trotzdem wenig schmackhaft. In manchen Jahren und an manchen Standorten kann auf diese Weise die Ernte zum Totalausfall werden, von einem überreich behangenen Baum bleibt nur ein kleines Körbchen einwandfreier Früchte übrig. Der Rest vergammelt am Boden und stellt allenfalls ein Entsorgungsproblem dar.
Wird andererseits ein Baum nicht beerntet, landet irgendwann sein gesamter Fruchtbehang auf dem Boden. Was nicht heißen muss, dass das Obst dann schon verdorben ist. Bestimmte Apfel- und Birnensorten, die zu Mus oder Brennmaische verarbeitet werden sollen, dürfen gerne fallen. Sie haben dann optimales Aroma und man spart sich das mühsame Schütteln des Baumes, wobei ja fast immer auch Fruchtholz geschädigt wird. Wie fast alles Gute und Schöne hat auch diese Methode einen Nachteil: man muss alle paar Tage sammeln und hat nicht die gesamte Ernte zur gleichen Zeit. Letztlich sind also Kompromisse angesagt.
An dieser Stelle möchten wir Sie vor einer gelegentlich betriebenen Täuschung warnen. Bietet Ihnen jemand Produkte von "ungespritztem" Obst an und behauptet, dieses Obst sei vollständig sauber und unversehrt gewesen, glauben Sie das bitte nicht. So etwas gibt es in der Natur nicht, wir Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen, denen reife Äpfel gut schmecken, und keine Schutzmaßnahme wirkt hundertprozentig. Es wird immer ein gewisser Prozentsatz "bewohnter" oder kernfauler Früchte mitverarbeitet worden sein. Die kleinen Maden wären noch das geringste Problem, ihre Kloake schon eher, und äußerlich unversehrte Äpfel, deren Inneres in allen Farben schillert, sind nicht nur Einzelfälle.
Wir kennen diese Problematik aus langjähriger Erfahrung und schneiden bei Frühernten jede einzelne Frucht auf. Sie möchten nicht wissen, was wir dabei schon alles entdeckt haben, was ansonsten in der Saftpresse gelandet wäre, würde man nur nach äußerem Anschein gehen. Von dieser Praxis weichen wir erst ab, wenn im Spätherbst eine umfangreiche Stichprobe ergeben hat, dass die Früchte eines bestimmten Baums vollreif und einwandfrei sind.
Kurz noch angemerkt sei, dass all das auch sortenabhängig ist. Ein im August gefallener Berner Rosenapfel wird eher ein wohlschmeckendes Produkt ergeben als ein sechs Wochen später aufgelesener Boskoop. Und manche Sorten sind recht anfällig für Fäulnis und Schimmelbefall, andere eher resitent in dieser Hinsicht.